Sieben Mythen zur Digitalisierung im Engagement
Nicht erst seit der Corona-Pandemie verschieben sich immer mehr Aktivitäten in den digitalen Raum – so auch das ehrenamtliche Engagement. Obwohl uns einige Erfolgsgeschichten der Digitalisierung erreichen, hören wir auch immer wieder von Ängsten und Sorgen. Daher wollen wir kurz und knapp mit einigen Mythen rund um die Digitalisierung im Ehrenamt aufräumen.
Nicht erst seit der Corona-Pandemie verschieben sich immer mehr Aktivitäten in den digitalen Raum – so auch das ehrenamtliche Engagement. Obwohl uns einige Erfolgsgeschichten der Digitalisierung erreichen, hören wir auch immer wieder von Ängsten und Sorgen. Daher wollen wir kurz und knapp mit einigen Mythen rund um die Digitalisierung im Ehrenamt aufräumen.
von Berit Barutzki & Laura Heym
#1 Digitalisierung passt nicht zu uns und unserer Arbeit!
Sicher? Unsere Gesellschaft wandelt sich – aus vielen Bereichen, wie zum Beispiel im Verkauf oder der Kommunikation, ist die Digitalisierung nicht mehr wegzudenken. Natürlich kann und soll sich nicht jeder Verein rundum digitalisieren. Doch statt auf dem “Das haben wir schon immer so gemacht” zu beharren, gilt es, die neuen Möglichkeiten als Chance zu begreifen. Es lohnt sich, gemeinsam die Prozesse der Vereinsarbeit genau unter die Lupe zu nehmen und zu überprüfen, ob nicht an der ein oder anderen Stelle digitale Hilfsmittel sinnvoll eingesetzt werden können. Die Beschäftigung mit der Digitalisierung ist oftmals eine Auseinandersetzung mit der Organisation an sich, die neuen Schwung reinbringen kann. Und weil das Angebot an digitalen Programmen und Hilfsmitteln riesig ist, finden sich sicher einige, die zu den eigenen Bedarfen passen. So können Prozesse, die vielleicht für einige Mitglieder umständlich oder intransparent wirken – zum Beispiel in der Entscheidungsfindung oder Mitgliederverwaltung –, womöglich vereinfacht und einzelne Personen entlastet werden. Dabei ist es völlig legitim, bewusst bei bewährten analogen Prozessen zu bleiben, insofern alle Mitglieder damit gut zurecht kommen. Letztendlich definiert ihr selbst, was “Digitalisierung” in eurer Organisation bedeutet. Übrigens, auf der Events-Seite von D3 – so geht digital wird eine gute Übersicht über diverse Veranstaltungen zum Thema Digitalisierung der Zivilgesellschaft geboten.
#2 Digitales Engagement ist nur was für junge Leute!
Absolut nicht! Digitales Engagement für alle Altersgruppen zu ermöglichen, hat viele Vorteile: z.B. kann man auf diese Weise Personen als Freiwillige rekrutieren, die lokal nicht zur Verfügung ständen oder aufgrund von Distanzen eingeschränkt sind. Nicht nur zu Zeiten des Abstand-Haltens im Alltag kann das digitale Zusammenkommen ein Weg aus der Isolation sein. Wenn klar ist, dass die digitalen Hilfsmittel vor allem eingesetzt werden, um das Miteinander zu stärken und die Zusammenarbeit zu vereinfachen, und alle etwas davon haben, können hier die Generationen ganz neu zusammenkommen. Und keine Sorge: 78% der über 70-jährigen nutzen regelmäßig das Internet. Eure Mitglieder und Zielgruppen sind vielleicht neugieriger und längst digitaler unterwegs, als ihr denkt.
#3 Digitalisierung ist nur was für Profis!
Aller Anfang ist schwer. Aber wenn der Stein erstmal ins Rollen gebracht ist, werden auch Laien schnell überzeugt sein. Richtig eingerichtet und eingeführt sind digitale Anwendungen meist ganz einfach zu nutzen. Sie sollen die Vereinsarbeit ja einfacher und nicht komplizierter machen. Zwar braucht die Auswahl der richtigen Werkzeuge am Anfang erstmal eine gewisse Expertise – es gibt eine große Masse an Informationen über verschiedene Anwendungen und Software-Programme – doch hat man einmal einen ersten Überblick gewonnen, die eigenen Auswahlkriterien klar formuliert und sich vielleicht Erfahrungsberichte und Tipps eingeholt, finden sich leicht passende Unterstützungsangebote für die eigene Arbeit. Wer sich nicht allein durch den Dschungel der Angebote schlagen will, kann eines der vielen Hilfs-, Beratungs- und Schulungsangebote in Anspruch nehmen – zum Beispiel bei d3 – so geht digital, bei der Initiative “Wir tun was” aus Rheinland-Pfalz oder bei der “Digitalen Nachbarschaft”. So fällt die Orientierung leicht, und wer will, kann sich so sogar zum Software-Profi für seinen Verein weiterbilden.
#4 Alles muss digital sein!
Das stimmt so nicht! Digitalisierung im Engagement umfasst ein breites Spektrum an Aktivitäten und Herangehensweisen: Werden digitale Tools “nur” verwendet, um Informationen zu teilen z.B. auf einer Organisationswebsite oder findet Engagement im digitalen Raum statt z.B. durch Online-Kampagnen zu politischen Themen? Viele von uns sind vermutlich digital unterwegs, kommunizieren über E-Mail und Messenger oder informieren sich über verschiedene Newsletter. Ein nächster Schritt wäre zum Beispiel eine digitale Mitgliederverwaltung oder – wozu uns die Corona-Pandemie quasi gezwungen hat – Videokonferenzen für Mitgliederversammlungen. Wenn Engagierte sich vor allem von Zuhause via Messenger, E-Mail, Videokonferenztool engagieren und zum Beispiel Online-Nachhilfe geben, dann ist das Engagement zwar “komplett digital” – das bedeutet jedoch nicht, dass es keine analogen Aktivitäten im Verein mehr gibt oder geben darf!
#5 Digitalisierung kostet nur Zeit!
Jein. Natürlich kostet es Zeit, die digitalen Hilfsmittel auszuwählen, die gut zum Zweck, den Werten und den Mitgliedern der Organisation passen. Auch die Einrichtung und Etablierung einer Anwendung können wahre Zeitfresser sein. Deshalb ist es wichtig, von Anfang an alle Mitglieder in Entscheidungen einzubeziehen – das verteilt die Arbeit auf mehrere Schultern, erhöht die Akzeptanz, sichert die langfristige Nutzung und vielleicht treten ja sogar heimliche Talente zu Tage! Der gezielte und sinnvolle Einsatz von Digitalisierung kann dann dafür sorgen, dass die wertvolle Ressource Zeit statt in das Abheften und Sortieren der Ablage in die Tätigkeiten fließen, die eure Organisation eigentlich ausmachen. Online-Konferenzen wie z.B. Mitgliederversammlungen über Zoom bieten zudem die Möglichkeit, mehr Menschen an einen Tisch zu bringen, weil Pendelzeiten entfallen und Familienleben und Engagement sich besser vereinen lassen. Dabei muss jede Organisation für sich (oder Mithilfe von Expert:innen z.B. CorrelAid) abwägen, welche Anwendung für sie sinnvoll ist und einen echten Mehrwert schafft, sodass sich die anfangs investierte Zeit auch wirklich lohnt.
#6 Im Digitalen geht die persönliche Ebene, das Gemeinschaftliche verloren!
Falsch. Natürlich ist das persönliche Treffen durch nichts zu ersetzen. Zum Einen wird aber durch die Optimierung von nervtötenden Pflichtaufgaben und komplizierten Abstimmungsrunden Zeit frei für das gemeinschaftliche Beisammensein im Sinne des Organisationszwecks. Und zum Anderen können auch neue (Spiel-)Räume für Vernetzung, Austausch und Zusammenarbeit entstehen, die ohne digitale Hilfsmittel gar nicht denkbar gewesen wären. Über Distanzen, Mobilitätseinschränkungen und andere Barrieren hinweg können so neue Begegnungen ermöglicht und mehr Menschen einbezogen werden. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt, wenn es darum geht digital einen interessanten Abend zu verbringen und die nächste Aktivität “live vor Ort” zu planen.
#7 Digitalisierung ist teuer!
Das kommt darauf an. Software oder Endgeräte einzukaufen und einzuführen, den Mitgliedern vielleicht sogar die Bedienung zu erklären – all das kostet finanzielle und zeitliche Ressourcen. Es macht jedoch einen Unterschied, ob man etwas Geld in die Hand nimmt und ein sicheres Produkt “direkt von der Stange” kauft, ob man werbefinanzierte Angebote nutzt oder bei vermeintlich kostenloser Software mit Daten bezahlt. Alternativ kann man aber auch etwas Zeit und Expertise investieren, um sich seine Lösung z.B. mit Open-Source-Produkten selber zu erstellen. Dafür hat man dann in der Regel seine Daten in der Hand, ist gewahrt vor versteckten Kosten und bekommt eine womöglich langfristigere Lösung, die an die individuellen Bedürfnisse angepasst ist. In jedem Fall gilt es abzuwägen “Was lohnt sich für uns?”. Manchmal kann auch eine Bezahlversion eines Porgramms sinnvoll sein und schon mit wenig Geld eine große Wirkung erzielt werden. Bei stifter-helfen.de kriegt man als gemeinnütziger Verein Software zu einem vergünstigten Preis und in “Plötzlich Digital. Die Sprechstunde” wird über die Vor- und Nachteile bestimmter Anwendungen diskutiert, sodass Vereine informierte Entscheidungen treffen können. Außerdem gibt es zurzeit immer mehr Förderungen, die dem steigenden Bedarf an Ressourcen für Endgeräte und Software begegnen. Auch für kleine Vereine lohnt sich deshalb der regelmäßige Besuch der Förderdatenbank der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt. Und da freut sich nicht nur die Vereinskasse!
Seit Anfang des Jahres beschäftigen wir uns bei neuland21 mit der Digitalisierung von Vereinen, Stiftungen, Kirchengemeinden und Freiwilligen Feuerwehren. Mit einem besonderen Blick auf den ländlichen Raum untersuchen wir in zwei Projekten, wie die Digitalisierung des Ehrenamts funktionieren kann:
Im Forschungsprojekt AppVeL fokussieren wir uns gemeinsam mit dem Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung auf den Einzug des Ehrenamts ins digitale Zeitalter und erarbeiten Chancen und Herausforderungen für den ländlichen Raum.
Im Modellprojekt “Herzberg – digital verein.t” arbeiten wir eng mit der Gemeinde Herzberg (Elster) zusammen, um eine digitale Plattform für die Vereine zu kreieren.
Dabei entwickeln wir auch Mittel und Wege, die Mythen zu entkräftigen: Wir schaffen digitale Bildungsangebote in Herzberg und veröffentlichen im Herbst 2021 eine Best-Practice-Broschüre für digitale Tools in der Vereinsarbeit.
Wir wollen eine breitgefächerte Expertise aufbauen an der Schnittstelle zwischen Digitalisierung, Zivilgesellschaft & Ehrenamt und dem ländlichen Raum.
Habt ihr gute Tipps auf Lager oder wollt Erfahrungen mit der Einführung digitaler Tools in eurer Organisation mit uns teilen? Was sind Eure Probleme und Anregungen? Kennt ihr ländliche Vereine, die eine digitale Erfolgsgeschichte sind? Dann schreibt uns: laura.heym@neuland21.de
Foto: Chris Montgomery on Unsplash