Digitale Bürger:innen-Beteiligung in Kleinstädten
Immer mehr Kleinstädte setzen bei Bürger:innen-Beteiligungsprozessen nicht nur auf analoge, sondern auch auf digitale Formate. Doch die Nutzung digitaler Plattformen ist kein Garant für einen erfolgreichen Beteiligungsprozess. In dem Forschungsprojekt “Digitale Bürger:innen-Beteiligung in Kleinstädten” gehen wir daher den Fragen nach: Wie können digitale Bürger:innen-Beteiligungsprozesse gelingen? Und welche Rolle spielen dabei die besonderen Charakteristiken einer Kleinstadt?
Forschungsprojekt
Die zahlreichen Smart-City- oder Smart-Region-Förderprojekte, in denen Bürger:innen-Beteiligung als eines der Kernelemente für kommunale Entwicklung und Digitalisierung gefördert werden, spiegeln die steigende Relevanz digitaler Beteiligung wider. Auch die Angebotslandschaft digitaler Beteiligungstools deutet auf einen vermehrten Einsatz hin, wobei die Vielzahl an Plattformanbietern allmählich unüberschaubar wird. Dabei geht digitale Bürger:innen-Beteiligung häufig mit vielen Versprechen einher: Die Erreichung einer größeren und vielfältigeren Öffentlichkeit, bei gleichzeitig geringeren Kosten; die Einbindung von Zielgruppen, die keine Zeit für analoge Beteiligungsveranstaltungen haben; und die schnellere und einfachere Auswertung der Ergebnisse.
Doch diese Versprechen gehen in der Realität nicht immer auf. In zahlreichen Forschungs- und Modellprojekten von neuland21 hat sich gezeigt, dass die Beteiligungszahlen und die Qualität der Ergebnisse häufig nicht den Erwartungen der Initiator:innen entsprechen.
Wie müssen Online-Beteiligungsformate also gestaltet sein, damit sie von der Bevölkerung angenommen werden? Welche Themen eignen sich für digitale Beteiligung? Wie lassen sich eine möglichst breite Öffentlichkeit und vielfältige Interessen einbinden? Und welche Rolle spielen dabei begleitende, analoge Formate?
Erfolgreiche Beteiligungsprojekte, die wissenschaftlich begleitet wurden, lassen sich bisher vorwiegend in Großstädten finden. Hier sind die Rahmenbedingungen und Voraussetzungen jedoch ganz andere als im kleinstädtischen Kontext. Erste Recherchen zeigen, dass in Kleinstädten zwar einerseits fördernde Bedingungen für Bürger:innen-Beteiligungsprozesse bestehen, andere Aspekte sich jedoch als hinderlich erweisen. So können die überschaubare Größe, die häufig starke Identifikation mit dem Wohnort und die soziale Einbindung der Bevölkerung Treiber für Beteiligungsprozesse sein. Gleichzeitig sind der kleine Verwaltungsapparat, das Fehlen einer dezidiert beauftragten Person und ein eingeschränktes Budget für Beteiligungsprojekte hemmende Faktoren.
Mit dem Projekt “digitale Bürger:innen-Beteiligung in Kleinstädten” wollen wir dieses kaum beforschte Feld erschließen und einen Beitrag zu den Themenfeldern digitale Transformation und digitale Inklusion in Kleinstädten leisten. Die Studie nimmt dafür fünf Kleinstädte, die ein Online-Beteiligungsportal zur Bürger:innen-Beteiligung anbieten, näher in den Blick. Methodisch werden dabei zunächst quantitative Indikatoren analysiert und anschließend qualitative Interviews mit den Zuständigen für Bürgerbeteiligung in den jeweiligen Kleinstädten geführt.
Abschließend werden die quantitativen und qualitativen Untersuchungsergebnisse ausgewertet, in einem Forschungsbericht zusammengeführt und mit Empfehlungen an die kommunale Ebene ergänzt. Diese Abschlusspublikation ist für Ende September 2023 geplant.
Die Studie
Der abschließende Forschungsbericht wurde in der Online-Schriftenreihe des HochschulCampus KleinstadtForschung publiziert und steht dort oder direkt hier zum Download bereit.
Die Kleinstädte
Folgende Kleinstädte wurden für das Forschungsprojekt ausgewählt. In einem kurzen Steckbrief stellen wir die Städte, ihre jeweilige Beteiligungsplattform, die Entstehungsgeschichte der digitalen Beteiligungsangebote sowie ihre bisher durchgeführten Projekte vor.
Merzenich, Nordrhein-Westfalen
Stadttyp I kleine Kleinstadt
Bevölkerungszahl I 10.141
Ländlichkeitstyp I eher ländlich / weniger gute sozioökonomische Lage
schrumpfend/wachsend I schrumpfend
Beteiligungsplattform I Beteiligung NRW
“Beteiligung NRW” wird vom Digitalministerium Nordrhein-Westfalen zur kostenfreien Nutzung durch Behörden der Landes- und Kommunalverwaltung bereitgestellt.
Entstehungs- und Stadtentwicklungskontext I Merzenich nutzt die Plattform Beteiligung NRW seit März 2021. Die ersten Projekte wurden im Zuge der Gründung eines regionalen Open-Government-Labors (ROGL) umgesetzt. Nach Ablauf der Förderphase beherbergt das in der Ortsmitte gelegene ROGL nun weiterhin Büros der Stadtverwaltung. Von hier aus organisiert und koordiniert die Dorfmanagerin laufend Beteiligungsprojekte.
Umgesetzte Beteiligungsprojekte I Seit März 2021 wurden insgesamt 25 Beteiligungsprojekte umgesetzt. Zu einem großen Teil wurde die Plattform für Umfragen und Ankündigungen von Veranstaltungen genutzt.
Hebertshausen, Bayern
Stadttyp I kleine Kleinstadt
Bevölkerungszahl I 5.798
Ländlichkeitstyp I eher ländlich / gute sozioökonomische Lage
schrumpfend/wachsend I überdurchschnittlich wachsend
Beteiligungsplattform I nonconform Ideenwerkstatt
Das Architekturbüro nonconform bietet mit der “nonconform Ideenwerkstatt” die Durchführung von Beteiligungsprozessen für raumbezogene Entwicklungsprojekte in Gemeinden, Städten und Landkreisen aber auch für Unternehmen an.
Entstehungs- und Stadtentwicklungskontext I Die ersten Beteiligungsprozesse in Hebertshausen wurden im Rahmen des 2018-19 entstandenen städtebaulichen Entwicklungskonzepts (ISEK) durchgeführt. Wesentlicher Bestandteil war die Entwicklung des Areals rund um die alte Holzschleiferei: ein altes, im Ortskern liegendes Industriegebäude, das in Zukunft inklusive Wohnformen sowie diverse kulturelle und gemeinschaftliche Nutzungen beherbergen soll.
Umgesetzte Beteiligungsprojekte I Bürger:innen waren von Anfang an am Prozess der Konzeptentwicklung, beginnend mit einem städtebaulichen und landschaftsplanerischen Ideenwettbewerb, beteiligt. In diesem Rahmen wurden eine Online-Befragung, eine digitale Ideenwand, sowie analoge Workshops und Infoveranstaltungen angeboten. Für das Jahr 2023 ist ein Info-Mobil geplant, in dem Bürger:innen mit einer VR-Brille “die neue Holzschleiferei am Mühlbach” begehen und auf einem digitalen Whiteboard ihre Ideen einbringen können.
Amt Hüttener Berge, Schleswig-Holstein
Stadttyp I Landgemeinde
Bevölkerungszahl I 15.028
Ländlichkeitstyp I sehr ländlich / weniger gute sozioökonomische Lage
schrumpfend/wachsend I überdurchschnittlich wachsend
Beteiligungplattform I adhocracy+
adhocracy+ ist eine Open-Source-Plattform und wird von Liquid Democracy, einem gemeinnützigen Verein aus Berlin, entwickelt und betrieben.
Entstehungs- und Stadtentwicklungskontext I In Folge der 2018 entwickelten Digitalisierungsstrategie “Hüttis Digitale Agenda“ realisierte das Amt Hüttener Berge eine Reihe von Digitalisierungsprojekten, wie das digitale Bürgerportal, das Seniorenportal digital.vital, einen digitalen Mobilitätsdienst sowie das Beteiligungsportal adhocracy+.
Umgesetzte Beteiligungsprojekte I Das Amt Hüttener Berge nutzt adhocracy+ seit März 2022 und setzte bis heute neun Beteiligungsprojekte in mehreren Gemeinden um. Dazu gehören Anregungen zu Bebauungsplänen, kartenbasierte Ideensammlungen und Umfragen zu infrastrukturellen Themen der Dorferneuerung.
Guben, Brandenburg
Stadttyp I größere Kleinstadt
Bevölkerungszahl I 16.377
Ländlichkeitstyp I eher ländlich / weniger gute soziökonomische Lage
schrumpfend/wachsend I schrumpfend
Beteiligungplattform I Mitmachen Guben (CONSUL)
“Mitmachen Guben” basiert auf CONSUL, einer Open-Source-Plattform, die weltweit für Beteiligungsprozesse genutzt wird. Der frei verfügbare Quellcode ermöglicht eine individuelle Weiterentwicklung der Plattform.
Entstehungs- und Stadtentwicklungskontext I Die Stadt Guben wird als Smart-City-Modellkommune von der Bundesregierung gefördert und verfolgt verschiedene Digitalisierungsprojekte mit dem Ziel, neue Methoden und Projekte im Bereich der Stadtentwicklung und Digitalisierung umzusetzen. In diesem Rahmen wurde im Oktober 2022 die Plattform “Mitmachen Guben” ins Leben gerufen..
Umgesetzte Beteiligungsprojekte I Die Beteiligungsplattform “Mitmachen Guben” wurde bisher vorwiegend als Forum und Ort für Ideen rund um die Smart-City-Strategie eingesetzt: Die Bürgerschaft konnte sich hier zum geplanten Open Data Portal “Cockpit” äußern, Ideen zur digitalen Plattform für die Gefahrenabwehr “cowaHOPE” sammeln und generelle Anregungen zur Zukunft von Guben als smarte Stadt hinterlassen.
Bad Dürkheim, Rheinland-Pfalz
Stadttyp I größere Kleinstadt
Bevölkerungszahl I 19.589
Ländlichkeitstyp I eher ländlich, gute sozioökonomische Lage
schrumpfend/wachsend I keine eindeutige Entwicklungsrichtung
Beteiligungplattform I Bad Dürkheim im Dialog (CitizenLab)
CitizenLab ist ein belgisches Civic-Tech-Unternehmen, das eine Bürgerbeteiligungsplattform für die Kommunalverwaltungen anbietet. Die wesentlichen Funktionen von CitizenLab sind als Open-Core-Software verfügbar.
Entstehungs- und Stadtentwicklungskontext I Auf Initiative des Bürgermeisters wurde in Bad Dürkheim im Mai 2022 die Beteiligungsplattform “Bad Dürkheim im Dialog” (CitizenLab) ins Leben gerufen.
Umgesetzte Beteiligungsprojekte I Im Zeitraum seit der Einführung der Plattform sind einige kleine Projekte, wie beispielsweise eine Bedarfsermittlung zum Betreuungsangebot an Grundschulen oder ein Beteiligungsprojekt zum Thema Straßenumbenennung umgesetzt worden. Für das Jahr 2023 ist ein umfangreiches Beteiligungsprojekt zur Überprüfung und Neuausrichtung des Stadtleitbilds geplant.
Förderer
Das Projekt wird gefördert durch den Hochschulcampus Kleinstadtforschung HCKF.
Der HochschulCampus Kleinstadtforschung HCKF ist ein Modellvorhaben im Rahmen des Forschungsprogramms „Experimenteller Wohnungs- und Städtebau“ (ExWoSt) des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BWSB), betreut vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR).
Ansprechpartnerin
Neuigkeiten
Das Potenzial von Nutzungsdaten für digitale Bürger:innen-Beteiligungsprojekte
In dem Forschungsprojekt “Digitale Bürger:innen-Beteiligung in Kleinstädten“ haben wir uns genauer mit der Auswertung von Nutzungsdaten digitaler Beteiligungsplattformen in ausgewählten Kleinstädten beschäftigt und dabei festgestellt: hier liegt viel ungenutztes Potenzial. In diesem Blogbeitrag werfen wir einen Blick auf die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen dieser Daten und ihre Bedeutung für die Steuerung zukünftiger Bürger:innen-Beteiligungsprojekte.
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