Interview mit Anne Pahl

Im Rahmen unserer Experteninterviews für das Projekt AppVeL haben wir mit Anne Pahl, Mitgründerin von youvo und Projektreferentin für Digitalisierung bei der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen (bagfa) gesprochen.

Im folgenden Interviewausschnitt erzählt Anne, wie die Einführung von digitalen Tools in ehrenamtlichen Organisationen gelingt und welche Rolle die Organisationskultur dabei spielt. 

neuland21: Ein Thema, das wir in unserer Umfrage zur Digitalisierung im ländlichen Ehrenamt untersucht haben, sind Faktoren, die die Digitalisierung ehrenamtlicher Organisationen fördern oder hemmen können. Welche Faktoren sind deiner Erfahrung nach hier ausschlaggebend? 

Anne: Ich glaube, da gibt es vielfältige Faktoren und auch Theorien dazu. Während der Pandemie war die Digitalisierung in vielen Organisationen eher ein reaktives Tun – wir müssen jetzt irgendwie digitaler werden, wir müssen dezentrale Zusammenarbeit ermöglichen. Da ging es um die Einführung von Tools, also Werkzeugen. Aber die Frage, die für mich viel wichtiger ist, ist das Wie. Also, auf welche Art und Weise werden digitale Werkzeuge in die Organisation hineingetragen? Kommt jemand und stülpt sie über, oder gibt es demokratische Verfahren dazu? Damit verknüpft ist die Frage: Wer entscheidet das und wie wird die Entscheidung in der Organisation verankert?  Und nicht zuletzt: Welche Fragestellungen werden in der Organisation an die Digitalisierung herangetragen? Auf was soll sie die Antwort sein? Es geht nicht darum, digitale Tools einzuführen, sondern auch darum, eine Organisationskultur zu verändern.

neuland21: Das klingt nach einer zeitintensiven und herausfordernden Aufgabe. Gerade Zeit ist im Ehrenamt ein knappes Gut. 

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©Sebastian Schütz

Anne: Ja, und gerade da gibt es häufig das Problem, dass Digitalisierung für viele eine Sache ist, die immer noch “on-top” kommt „Das müssen wir jetzt auch noch machen,” heißt es dann. Die Digitalisierung einer Organisation ist ein sehr grundsätzlicher Prozess, der viel Zeit in Anspruch nimmt, wenn man ihn ernst nimmt. Ich erlebe aber zumindest ab und zu, dass er nicht so ernst genommen wird, oder, dass der Ärger schnell groß ist, wenn dieser Prozess nicht gut vorbereitet ist und nicht gut moderiert wird. Dann ist das Frustrationspotenzial sehr hoch und man droht Menschen zu verlieren, die sich nicht gut mitgenommen fühlen, insbesondere auch Ehrenamtliche.

neuland21: Würdest Du sagen, dass so eine Umstellung eher erfolgreich ist, wenn sie bottom-up, also ausgehend von den Engagierten, oder wenn sie top-down, vom Vorstand initiiert, abläuft? 

Anne: Darauf habe ich keine eindeutige Antwort. Ich finde, das ist stark abhängig davon, wie die Organisation strukturiert ist, wie hierarchisch sie ist. Denn wir wissen, Digitalisierung hat viel Potenzial, hierarchische Strukturen zu demokratisieren. Und das heißt, wenn die Organisation von vornherein nicht starr hierarchisch organisiert ist, dann ist es meiner Meinung nach egal, ob eine Neuerung von unten kommt und einzelne Ehrenamtliche die Initiative ergreifen, oder ob der Vorstand kommt und sagt: „Hey, ich habe hier das und das gemacht”, das dann den Engagierten vorschlägt und sich alle gemeinsam dafür entscheiden. Gleichzeitig, wenn es sehr eingefahrene Strukturen gibt, wie in manchen Vereinen, kann es sehr viel schwieriger sein. Da merkt man dann auch, dass sich junge Leute, die in eine festgefahrene Organisation reinkommen, auch schnell wieder verabschieden.

neuland21: Und konntest du in den letzten Jahren Veränderungen wahrnehmen hinsichtlich der Einstellung zur Digitalisierung in ehrenamtlichen Organisationen, vielleicht durch Corona bedingt, oder auch unabhängig davon?

Anne: Ja. Eine Beobachtung, die ich mache ist, dass selbst die Leute, die sagen: „Ich habe gar keine Lust auf irgendwas Digitales“, sich trotzdem zu einem gewissen Grade damit beschäftigen und dann eine mündige Antwort haben: „Deshalb habe ich keine Lust da drauf.“ Es ist nicht mehr so ein diffuses „Oh, dieses Digitale, das ist nichts für mich“, wie man es vor vielleicht drei, vier, fünf Jahren noch oft gehört hat, sondern es ist ein: „Wir haben uns das angeschaut und wir haben uns bewusst dagegen entschieden.“ Das sehe ich schon als eine positive Entwicklung. 

neuland21: Danke für das Gespräch, Anne!

Das Interview wurde am 2.6.2022 via Zoom geführt. 

Das Forschungsprojekt “Zwischen Appstore und Vereinsregister – Ländliches Ehrenamt auf dem Weg ins digitale Zeitalter” (AppVeL) wird von neuland21 und dem Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung durchgeführt und im Rahmen des Programms “Ehrenamtliches Engagement in ländlichen Räumen” vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) gefördert.