Transformative Kraft für ländliche Räume: Warum es sich lohnt, Leerstände zwischenzunutzen – Teil 2

Der zweite Teil unseres Berichts zur transformativen Kraft von Zwischennutzungen in ländlichen Räumen zeigt auf, wie Innenstädte und ganze Quartiere, Orte, Kommunen und sogar ganze Regionen durch Zwischennutzungsprojekte belebt werden können.

Der zweite Teil unseres Berichts zur transformativen Kraft von Zwischennnutzungen in ländlichen Räumen zeigt auf, wie Innenstädte und ganze Quartiere, Orte, Kommunen und sogar ganze Regionen durch Zwischennutzungsprojekte belebt werden können.

Warum sich Zwischennutzungen für Quartiere, Orte, Kommune und Regionen lohnen

  • Belebung der Innenstadt

Laut IFH Köln werden im kommenden Jahr bis zu 46.000 stationäre Geschäfte schließen. Gerade vor diesem Hintergrund sowie vermehrtem Online-Shopping und der damit verbundenen Gefahr verödender Innenstädte, ist die (Re-)Vitalisierung von Stadtzentren derzeit eine enorme Herausforderung für Kommunen. Kreative Zwischennutzungen, die Erlebnis und Begegnung ermöglichen, können dabei eine Lösungsoption sein, indem sie den stationären Handel erweitern und stärken. Sowohl die Attraktivität als auch die Frequenz in der Innenstadt können durch neue, temporäre Konzepte erhalten oder erhöht werden und Geschäftsmodelle, die bislang nur online stattfinden, können sich vor Ort in der Innenstadt ausprobieren. Damit können neue Gründe für einen Besuch in der Innenstadt entstehen und neue Zielgruppen zum Besuch der Innenstadt bewegt werden. Den Effekt verdeutlicht die Erfahrung des Ladengeschäfts Secondvintage in Hanau: Durch die Eröffnung des neuen Angebots kamen wieder deutlich mehr Jugendliche und junge Menschen in die Stadt, die zuvor keinen Anlass zum Besuch der Innenstadt sahen. Im besten Falle kann im Anschluss an eine erste Zwischennutzung eine Spirale zur Eröffnung weiterer Ladengeschäfte in Gang gesetzt werden, die wechselseitig voneinander profitieren und die Innenstadt fortan beleben.

  • Erhöhung der Lebensqualität vor Ort und wirtschaftliche und kulturelle Belebung

Doch nicht nur die Innenstädte und der Handel, sondern auch ganze Stadtteile oder Quartiere, die von Leerstand betroffen sind, können durch eine temporäre Bespielung von Leerständen aufgewertet werden. Denn Zwischennutzungen sind “eben keine Lückenfüller, sondern in vielen Fällen äußerst belebte Areale mit einer unterschätzten, oft bedeutenden Ökonomie und hohem Innovations- und Kreativitätsgrad”, so Dr. Philip Klaus vom INURA Institut Zürich. Durch ein attraktives Straßenbild, neue Angebote der Nahversorgung sowie kulturelle oder soziale Angebote steigt die Lebensqualität für die Anwohner:innen unmittelbar. Als Beispiel kann der Stadtsalon Safari in Wittenberge gelten, der durch den “Summer of Pioneers” der Initiative neulandia als Zwischennutzung in einem Leerstand initiiert wurde und mittlerweile als dauerhafter Ort für Kultur und Veranstaltungen etabliert ist. Beispiele wie dieses zeigen, dass Zwischennutzungen als eine Art Initialzündung für eine Vielzahl weiterer Projekte wie Kiezcafés, Begegnungsorte oder kulturelle Angebote dienen können. Und nicht selten ist eine Zwischennutzung dabei mit einer Existenzgründung verknüpft – wodurch sogar neue und attraktive Arbeitsplätze geschaffen werden können. Durch starke Impulse für die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung können Zwischennutzungen ihren Beitrag zu einer dynamischen Stadtentwicklung leisten, indem sie  den lokalen Tourismus stärken, Abwanderungstendenzen entgegenwirken und Aufschwung für die Region initiieren. Die Nutzung von Leerständen zur Standortaufwertung kann folglich als innovative Möglichkeit sowohl für die regionale Wirtschaftsförderung als auch für das Stadtmarketing gesehen werden. 

Im Gegenzug können Leerstände, die nicht belebt werden, einen Trading Down Effekt anstoßen – denn Leerstand zieht häufig noch mehr Leerstand an und kann so zur schrittweisen Verödung von Stadtvierteln oder Innenstädten führen. Ein Beispiel hierfür ist der Donut-Effekt, der durch Leerstände im Ortskern verstärkt werden kann. Er beschreibt eine Siedlungsentwicklung, bei der die Ränder zwar belebt sind, die Innenstädte jedoch leer stehen.

  • Gemeinwohlorientierte & partizipative Stadtentwicklung

Eine gemeinwohlorientierte Stadtentwicklungspolitik zählt – wie in der Neuen Leipzig Charta 2020 festgehalten – zu den “Prinzipien guter Stadtentwicklungspolitik”. Sie soll die Interessen der Allgemeinheit im Fokus haben und neue Formen der Beteiligung der Bürger:innen ermöglichen. Für diese Herangehensweise sind Zwischennutzungen oftmals prädestiniert, denn sie können einen Möglichkeitsraum für Mitgestaltung und Ausprobieren im Rahmen von gemeinwohlorientierten, partizipativen Stadtentwicklungsprojekten bieten.

Sowohl sozialen oder ehrenamtlichen Initiativen, Sport- und Freizeitgruppen oder Kreativschaffenden als auch Anwohner:innen bieten Zwischennutzungen Räume und Plattformen, um neue Ideen auszuprobieren und Stadtentwicklung aktiv mitzugestalten. Durch den partizipativen Charakter zahlreicher Zwischennutzungsprojekte können diese im Gegensatz zu Projektentwicklungen aus einem Guss zur Schaffung von authentischer Diversität in Innenstädten und Stadtvierteln beitragen. Und die braucht es heute häufig, um deren Attraktivität und Vitalität zu garantieren. 

Potentielle Nutzer:innen können in einem offen gestalteten Zwischennutzungsprojekt direkt am Beginn des (temporären) Projekts stehen – und nicht wie häufig üblich erst am Ende eines Bauprozesses. Niedrigschwellige Mitmachformate und niedriger Kapitalbedarf können Zwischennutzungsprojekte zu Orten werden lassen, an denen Antworten auf grundlegende Fragestellung gefunden werden: Wie wollen wir künftig in unseren Städten leben? Und wer ist an der Gestaltung von Stadt beteiligt? Durch diese neue Kultur der Beteiligung, bei der die “Koproduktion von Räumen” im Vordergrund steht, können Bürger:innen selbst Einfluss auf ihre Umgebung nehmen und diese mitgestalten. 

Gleichzeitig wird Stadtentwicklung durch diese Partizipationsprozesse transparenter.
Zwischennutzungskonzepte ermöglichen jedoch nicht nur Bürger:innen Partizipation und Mitgestaltung, sondern eröffnen auch für städtische oder kommunale Akteure neue Methoden der Stadtgestaltung. Insbesondere in ländlichen Räumen können damit Akteure mit neuen ko-kreativen Methoden partizipativer Stadtgestaltung in Berührung kommen und lernen, mit Bürger:innen über die Gestaltung vorhandener Räume und Flächen ins Gespräch zu kommen, um sich gegenseitig zu inspirieren und zu lernen. Diese Methodenkompetenzen können insbesondere das soziale Miteinander und die politische Teilhabe der Stadtgesellschaft stärken. Ihre Qualität, unterschiedliche Akteure einzubinden, Neues auszuprobieren und Räume zu Leuchtturmprojekten werden zu lassen, gibt Zwischennutzungen die Chance, treibende Kraft städtischer Transformation zu werden.

  • Raumnot in Städten entgegenwirken

Während auf der einen Seite (Klein-)Städte um ihre Innenstädte bangen, herrscht auf der anderen Seite gerade in Großstädten und Ballungsgebieten häufig Raumnot. Die Ressource Raum wird durch steigende Preise und zunehmende Verdichtung zu einem immer knapperen Gut, das gerade Kreativen, Kulturschaffenden, jungen Unternehmer:innen oder auch Vereinen und Initiativen häufig nicht mehr zugänglich ist – gerade wenn es an finanziellen Mitteln fehlt. Zwischennutzungen können die vielerorts in Städten und deren Speckgürteln auftretende Raumnot adressieren, indem sie neue (leistbare) Räume schaffen. Sie sind damit nicht nur ein Tool, um Quartiere und Städte aufzuwerten, sondern auch, um andernorts Raumnot entgegenzutreten. So wurden zahlreiche Zwischennutzungsagenturen wie Transiträume aus Berlin, Radar in Frankfurt a.M., urban future project oder das Förderprogramm Frei_Fläche aus Hamburg ins Leben gerufen, um bezahlbare Räume für Kreativschaffende in Städten zu schaffen. 

  • Nachhaltige Stadtentwicklung fördern

Neben den bisher genannten Aspekten können Zwischennutzungen auch im Spannungsgebiet zwischen den Bedarfen neuer Siedlungs- und Gewerbeflächen und der Vermeidung von Neuversiegelung Lösungen bieten. Letztere ist als Paragraph 1a zum schonenden Umgang mit Grund und Boden Teil des Baugesetzbuches und spiegelt sich auch im Ziel der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie, die Flächeninanspruchnahme bis 2030 auf weniger als täglich 30 Hektar zu mindern – was einer Halbierung der aktuellen täglichen Flächenversiegelung gleichkommt.

Durch die Neu-, Um- oder Zwischennutzung bestehender Gebäude kann ein nachhaltiger Umgang mit Ressourcen gefördert werden: An die Stelle von kapital- und energieintensiven Neubauten tritt das Recycling und die Umformung von Bestehendem. Damit erfüllen Zwischennutzungsprojekte zentrale Aspekte der Nachhaltigkeit. 

Aufgrund des ökologischen, ökonomischen sowie sozial-kulturellen Mehrwerts von Zwischennutzungen für Kommunen und Städte, von der Immobilieneigentümer:innen, Zwischennutzende sowie die Stadtentwicklung profitieren können, haben auch wir uns 2021 gemeinsam mit dem Technologie- und Gewerbezentrum Prignitz dazu entschieden, eine regionale Agentur für Zwischennutzungen aufzubauen. Über die Vor- und Nachteile von Zwischennutzungen, Vorbehalte und Kooperationsanfragen tauschen wir uns gerne mit euch aus. Meldet euch einfach bei Felicitas Nadwornicek  unter felicitas.nadwornicek@neuland21.de!

Quellen:

Arnold Voss: “Vom Sinn und Unsinn von Zwischennutzungen”, Ruhrbarone, 2010: https://www.ruhrbarone.de/vom-sinn-und-unsinn-der-zwischennutzung/15345/

https://www.ehret-klein.de/blog/neubelebung-mit-zwischennutzung/

Baugesetzbuch: Ergänzende Vorschriften zum Umweltschutz, § 1 a: https://dejure.org/gesetze/BauGB/1a.html 

BMI: Neue Leipzig Charta. Die transformative Kraft der Städte für das Gemeinwohl, 2020: https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/2020/eu-rp/gemeinsame-erklaerungen/neue-leipzig-charta-2020.pdf?__blob=publicationFile&v=6 

BMVBS/BBR, Reihe “Werkstatt: Praxis”, Ausgabe 57: “Zwischennutzungen und Nischen im Städtebau als Beitrag für eine nachhaltige Stadtentwicklung”. Bonn 2008: ​​https://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/veroeffentlichungen/ministerien/bmvbs/wp/2008/heft57_DL.pdf?__blob=publicationFile&v=1

Bundesvereinigung City- und Stadtmarketing Deutschland e.V.: “Flächenmanagement – Instrumente und Maßnahmen für die Innenstadtentwicklung” 2010: https://www.bcsd.de/suchergebnisse/?datei=fl__chenmanagement.pdf 

Deutsche Bauzeitung: Der Donut Effekt, https://www.db-bauzeitung.de/wp-content/uploads/d/b/db0818StftgGrafik_27.pdf 

“Digitale Landpioniere. Politikempfehlungen”, 2022: https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/user_upload/Digitale_Landpioniere_Politikempfehlungen_final_220125.pdf

German Architects: “Zwischennutzung als Chance”, 2013: https://www.german-architects.com/de/architecture-news/hauptbeitrag/zwischennutzung-als-chance 

IFH Köln: Zukunft des Handels, 2022: https://www.ifhkoeln.de/zukunft-des-handels-auch-2022-mehr-online-weniger-geschaefte/ 

Institut für Bodenmanagement: “Der Einfluss von Zwischennutzungen auf den Verkehrswert und die Wirtschaftlichkeit von Immobilien”, Dortmund 2008: https://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/forschung/programme/exwost/Studien/2006/ZwischenntzUndNischen/DL_Studie_Wirtschaft.pdf?__blob=publicationFile&v=1

Nationale Stadtentwicklungspolitik: Offene Räume in der Stadtentwicklung Leerstand – Zwischennutzung – Umnutzung, stadt:pilot spezial, 2012: https://www.nationale-stadtentwicklungspolitik.de/NSP/SharedDocs/Publikationen/DE_NSP/stadtpilot_spezial_raeume.pdf?__blob=publicationFile&v=1

Onlineportal “Anleitung Zwischennutzung”, http://www.zwischennutzung.net/anleitung.html

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