Neue Läden braucht das Land: Warum ein Dorfladen mehr als Lebensmittel bietet

Warum sind Dorfläden wichtig für ländliche Räume? Welche unterschiedlichen Konzepte gibt es für eine zukunftsfähige Nahversorgung mit Lebensmitteln auf dem Land? Das hat Nora Hartmann in ihrer Masterarbeit untersucht. In diesem Gastbeitrag gibt sie Tipps, wie neue Dorfläden entstehen können, was bei der Planung bedacht werden muss und welche Aufgaben auf Politik und Regionalentwicklung zukommen.

Dieser Gastbeitrag von Nora Hartmann beruht auf Erkenntnissen, die im Rahmen der Masterarbeit „Zukunftsfähige Konzepte zur Lebensmittelnahversorgung in Dörfern – eine sozial-empirische Analyse moderner Konzepte in Deutschland“ gewonnen wurden. Dafür wurden leitfadengestütze Interviews durchgeführt. Die Arbeit wurde von Ulrich Harteisen (HAWK Göttingen) und Mathias Großklaus (neuland21) betreut. Die Autorin ist unter nora.hartmann@hawk.de erreichbar.

Gastbeitrag von Nora Hartmann

Dörfliche Lebensmittelversorgung und demographischer Wandel: Viele Herausforderungen!

Vor 50 Jahren hatte noch jedes Dorf seine eigene Lebensmittelnahversorgung. Es gab oft mehr als nur einen Laden, der mit den Dingen des täglichen Bedarfs versorgte. Heute ist es schon etwas besonderes, wenn in einem kleineren Ort ein Laden zu finden ist. Das liegt am demographischen Wandel: durch Abwanderung und Überalterung verändert sich die Struktur und das Volumen der Nachfrage nach Lebensmitteln. Aber auch die steigende Anforderungen der Konsument:innen an Auswahl, Qualität und Preis erschweren das Fortbestehen der kleinen Läden auf dem Land. Sie haben wenig Chancen, mit großen Supermärkten oder Discountern zu konkurrieren. Dazu kommt, dass viele Menschen auf dem Land ihr eigenes Auto besitzen. Sie können so ganz bequem ihren Einkauf im Supermarkt der nächsten Stadt tätigen. 

Doch nicht nur auf der Seite der Konsument:innen hat sich die Situation in den letzten Jahrzehnten verändert. Das Betreiben eines kleinen Dorfladens hat sich immer weiter erschwert. Heute dominieren nur sechs Großanbieter mit 90 % des Marktanteils den Lebensmitteleinzelhandel. Ein typischer Supermarkt hat ein Einzugsgebiet von über 5.000 Menschen. Die kleinen Läden sind dieser Konkurrenz nicht gewachsen. Und auch die Lieferkonditionen haben sich für den einzelnen Laden verschlechtert.

Trotz dieser schwierigen Ausgangssituation gibt es jedoch auch heute noch Dörfer mit eigenem Laden. Für die Regionalentwicklung in ländlich geprägten Gegenden ist es außerordentlich wichtig, diese zu erhalten und das Entstehen neuer Läden anzuschieben. Das hat Gründe, die weit über die unmittelbare Lebensmittelversorgung hinausgehen.

Warum das Land Dorfläden braucht

#1 Dorfläden sind ein sozialer Dorfmittelpunkt

Viele kleine Ortschaften gelten heute als sogenannte „Schlafdörfer“. Das sind Orte, in denen die Menschen lediglich den Rückzugsraum der eigenen Wohnung nutzen, alle Aktivitäten – wie Arbeit, Hobbys oder soziale Begegnungen – finden außerhalb des Wohnortes statt. Dorfläden können hier einen Gegentrend setzen und dazu beitragen, einen Ort (wieder) zu beleben. Ein Dorfladen kann als Begegnungsstätte, als Treffpunkt dienen. Auch für neu Zugezogene kann der Kontakt mit anderen erleichtert werden.

#2 Dorfläden schaffen regionale Wertschöpfung

Viele Dorfläden setzen einen besonderen Schwerpunkt auf Produkte aus der Region. Für die Konsument:innen eröffnet dies die (verhältnismäßig einfache) Möglichkeit, regionale Produkte zu beziehen. Durch den persönlichen Kontakt zu Landwirt:innen und Produzent:innen der Ladenbetreibenden sowie die kurzen Wege ist die Herkunft der Produkte gut nachvollziehbar. Bewusster Konsum wird erlebbar und eine Identifikation mit dem eigenen Ort und der eigenen Region durch persönlichen Bezug möglich. Und möglicherweise entstehen sogar Arbeitsplätze. 

#3 Dorfläden sind multifunktionale Zentren (oder können es werden)

Ist erst einmal ein Ort der Begegnung geschaffen (und dafür braucht es nicht viel), macht der Dorfladen möglicherweise Lust auf mehr. Viele Dorfläden integrieren zusätzliche Angebote. Sind Struktur und Räumlichkeit erst mal vorhanden, gliedert auch verhältnismäßig einfach ein Café an, eine Kunstausstellung findet ihren Platz, eine Carsharing-Initiative kann ihre Anlaufstelle andocken oder einfach nur eine Austauschbörse für Nachhilfestunden am Schwarzen Brett stattfinden. Ob der Dorfladen einem typischen Tante-Emma-Laden gleicht oder doch gleich ein ganzes Dorfzentrum mit Kinder- oder Altenbetreuung oder einem Coworking-Space entsteht, hängt von den individuellen Bedarfen einer Dorfgemeinschaft ab. Ein wirklich erfolgreicher Dorfladen kann auch ein Katalysator für das Interesse der Bürger:innen für den eigenen Ort sein. Und warum dann nicht weitere Projekte im Dorf wagen?

#4 Dorfläden schaffen kurze Wege für das Klima … und das eigene Wohlbefinden

Nicht zuletzt ermöglicht das Einkaufen im eigenen Ort, das Auto ab und zu mal stehen zu lassen. Gerade in Zeiten von Homeoffice ist es oft gar nicht mehr jeden Tag nötig, den Weg in die nächste Stadt zu machen  –  wenn die Produkte des täglichen Bedarfs auch ein paar Straßen weiter zu finden sind. Dies entlastet nicht nur das Klima, sondern auch die vollen Straßen und den eigenen Terminkalender. Und durch den Fokus auf regionale Produkte werden (zumindest teilweise) weite Transportstrecken eingespart. 

#5 Dorfläden schaffen barrierearme Teilhabeemöglichkeiten

Ein Dorfladen ermöglicht weniger mobilen Menschen eine Möglichkeit zur sozialen Teilhabe und Selbstständigkeit. In Anbetracht des demografischen Wandels und der Alterung unserer Gesellschaft wird das ein zunehmend wichtiger Aspekt. Gerade ältere Menschen sind aufgrund der Entfernung zu Infrastruktur auf dem Dorf häufig auf Hilfe angewiesen.Doch auch jüngere Menschen (etwa Kinder, Jugendliche oder Menschen mit Behinderung) profitieren von örtlichen Angeboten.

#6 Dorfläden steigern die Standortattraktivität

Unter einem dörflichen Idyll stellen sich viele eine intakte Gemeinschaft mit einem lebendigen Ort vor. Bestehende Infrastruktur ist da ein wichtiger Aspekt. So kann ein ein Dorfladen mit dazu beitragen dem Problem der Landflucht, der Bevölkerungsabnahme, der Überalterung entgegenzuwirken. Und auch für Rückkehrer:innen oder neu Zuziehende macht es den Ort attraktiver.

Gründen eines neuen Dorfladens: Was sollte bedacht werden?

Trotz der vielen Vorteile für Dörfer und Dorfgemeinschaften: Die Gründung eines Dorfladens (oder die Erneuerung des Konzepts eines bestehenden) ist nicht ohne Hürden. Viele Fehler lassen sich jedoch durch ein bedachtes Vorgehen leicht vermeiden.

#1 Planung, Planung, Planung

Eine gute Planung ist das A und O. Es nützt nichts, wenn es den schönsten Dorfladen in einem Ort gibt und niemand geht hin. Darum empfiehlt sich, vorab die Machbarkeit zu klären und Bedarfe zu erkunden. Es sollten einige grundlegende Fragen im Vorfeld geklärt werden: Was wünschen sich die Menschen des Ortes von einem Laden? Und unter welchen Bedingungen gehen sie dort einkaufen? In diesem Zuge sollten die Bedürfnisse der potenziellen Kundschaft abgefragt werden. Außerdem muss geprüft werden, welche anderen Nahversorgungsinitiativen in eine Konkurrenzsituation kommen könnten oder ob vielleicht nicht sogar Kooperationen möglich sind. Auch im Laufe des Bestehens des Ladens sollten immer wieder die Bedürfnisse der Kundschaft abgeglichen werden. Ein flexibles Reagieren auf die Wünsche der Kund:innen ist Voraussetzung für ein langfristiges Bestehen.

#2 Dorfladen ist nicht gleich Dorfladen: Geeignete Form finden

Dorfläden sind so unterschiedlich wie die Dörfer. Jeder (erfolgreiche) Dorfladen ist einzigartig und auf die Begebenheiten und Bedürfnisse des Ortes zugeschnitten. Jedes Dorf muss selbst herausfinden, welche Aspekte vor Ort wichtig sind, welche Schwerpunkte gelegt werden sollen oder welche Wirtschaftsform die geeignetste ist. In der folgenden Tabelle finden sich typische Beispiele von Dorfläden aus ganz Deutschland.

#3 Gute Beispiele kennenlernen – und Unterstützung einholen

Das Rad muss nicht neu erfunden werden! Es gibt bereits viele erfolgreiche Dorfläden mit den unterschiedlichsten Konzepten. Einfach mal umhören und nachfragen! Oft wird gerne geholfen. In einigen Bundesländern oder auch Regionen (etwa LEADER-Regionen) gibt es auch Vernetzungsstellen. Die haben vorhandene Expertise bereits zusammengetragen und können weitervermitteln. Auch für die Planung eines Ladens gibt es häufig Unterstützung von der regionalen Wirtschaftsförderung oder anderen Instanzen – auch wenn keine expliziten Angebote bestehen, kann hier meist unterstützt werden. Zudem können Fördermittel eine große Erleichterung darstellen. Fördermittelstellen für Dorfläden können an unterschiedlichen Stellen angesiedelt sein: Kommune, Land, LEADER, Modellregionen, Pilotprojekte.

#4 Verantwortliche Person(en) finden

Eine stabile Finanzierung und ausreichend Kundschaft nützt nichts, wenn es keine Menschen gibt, die bereit sind den Laden zu betreiben. Es müssen also Menschen gefunden werden, die den Laden führen möchten und ihn am Laufen halten. Gibt es dafür ehrenamtliches Potenzial oder können die Personalkosten abgedeckt werden? Dafür sollte stets eine langfristige Perspektive mitbedacht werden. Ehrenämter stoßen schnell an ihre zeitlichen Grenzen und verpflichten sich oft nicht über Jahre hinweg. Die Führung eines Ladens sollte nicht unterschätzt werden. Kaufmännisches Wissen ist unabdingbar für ein gutes Gelingen.

#5 Kosten sparen, gut wirtschaften

Ein zentraler Punkt ist natürlich die Wirtschaftlichkeit. Schon bei der Ausrichtung des Ladens muss eine wirtschaftlich tragbares Konzept vorhanden sein. Eine Abgrenzung zum Supermarkt ist hier entscheidend. Es muss klar herausgearbeitet werden, warum Menschen in diesem Laden einkaufen möchten und nicht woanders. Die Konkurrenz zu anderen kleinen Läden oder Initiativen sollte unbedingt vermieden werden. Es darf jedoch nicht an der falschen Stelle gespart werden. Kostenreduktion durch zu kurze Öffnungszeiten kann dem Laden auch zum Verhängnis werden. Diese sollten unbedingt auf die Bedürfnisse der Dorfbewohner:innen abgestimmt werden. Es sollte geklärt werden, ob etwa die Gemeinde Ladenfläche zu besonderen Konditionen vermieten oder sogar zur Verfügung stellen kann. Ebenso sollte geprüft werden, ob dauerhafte Fördermöglichkeiten bestehen. Wenn sich nicht genügend Personal findet oder die Einstellung neuer Mitarbeitenden nicht zu stemmen ist, gibt es viele Möglichkeiten: Eingespart werden können Kosten zum Beispiel beim Personal (Ein personalloses 24h-Laden-Konzept, ein ehrenamtliches Betriebermodell oder ein Angebot über Automaten. Ehrenamt, Automaten, Internethandel).

#6 Passende Räumlichkeiten finden

Wichtig für den Erfolg eines Dorfladens ist dessen Lage. Der Laden sollte sich zentral im Ort befinden und nach Möglichkeit an einer Durchgangsstraße um Pendelverkehr und Menschen auch von außerhalb zu erreichen. Vielleicht gibt es noch eine Immobilie eines ehemaligen Ladens. Das schafft Identifikation. Oder es kann eine andere Immobilie umgenutzt werden. Genügend Parkplätze sind ebenso ein wichtiger Faktor. Auch die Innenraumausstattung ist wichtig für einen erfolgreichen Laden. Sie sollte modern und ansprechend sein und eine warme Atmosphäre schaffen, den Einkauf angenehm machen.

#7 Risiken streuen

Häufig trägt sich das Angebot von ausschließlich Lebensmitteln in einem kleinen Ort nicht. Und der Dorfladen sticht besonders als Ort der Begegnung heraus. Da bietet sich die Integration weiterer Angebote an. Beispiele hierfür sind: ein Café, eine Paketannahmestelle/Post, ein kulturelles Angebot, Internetzugang, Leihlastenräder, Carsharing. Oder kann der Laden vielleicht mit anderen (bereits vorhandenen oder zukünftigen) Strukturen kombiniert werden (Coworking-Space, Ärztehaus, Gemeindezentrum)? Welche Ideen gibt es noch?

#8 Die kleinen Fragen nicht vergessen

Weitere wichtige Fragen für die Planung eines Dorfladens sind: Ist eine Internetpräsenz geplant? Wie können besonders junge Menschen angesprochen werden? Kann der Laden sich wandeln/ ist er flexibel? Soll der Laden Teil eines Netzwerks werden? Was kann der Laden bieten, was der Supermarkt nicht kann? Gibt es einen geeigneten Platz für ein schwarzes Brett?

Was die Politik tun kann

Gute Planung und Vorbereitung kann vieles möglich machen. Dennoch liegt es nicht am Engagement der Menschen vor Ort, dass es Dorfläden vielerorts schwer haben. Hier ist die Politik gefragt. Welche Weichen sollten also gestellt werden?

Zunächst sollten Dorfläden auf allen politischen Ebenen gezielt unterstützt und gefördert werden. So könnte den Kommunen mehr Entscheidungsspielräume zubilligen, da diese am besten die Situation vor Ort und die Bedürfnisse der Menschen einschätzen können. Gefördert werden sollte auch die interkommunale Zusammenarbeit, da manche Konzepte sich besser in einem größeren Verband verwirklichen lassen, wie etwa ein mobiler Dorfladen, und die Vernetzung einzelner Läden von Vorteil sein kann. Auch das Zusammendenken von verschiedenen Nahversorgungskonzepten und ländlichen Akteur:innen kann sehr erfolgreich sein. Vielleicht kann in einem Gebäude Lebensmittelversorgung und eine Arztpraxis untergebracht werden? Oder es kann eine Kooperation mit dem Dorfverschönerungsverein entstehen? 

Konkrete Hilfestellungen für Dorfläden können eigene Beratungsstellen geben (die z.B. in der Wirtschaftsförderung angesiedelt werden könnten). Aber auch das Finanzieren oder Bezuschussen einer Machbarkeitsstudie kann für einen erfolgreichen Dorfladen der erste Schritt sein. Finanzielle Unterstützungen, gerade in der Anfangsphase, sind für kleine Projekte oft maßgeblich. Oft scheitert es jedoch schon an der Antragstellung. Hier bedarf es Hilfe durch geschultes Personal oder im besten Falle einen Abbau von bürokratischen Hürden. 

Auch sind Prozesse oft sehr langwierig, ein Laden braucht bei der Eröffnung aber das Aktionspotenzial und kann sich nicht immer mehrjährige Antragsstellungsprozesse leisten. Ebenso ist der Erhalt von Fördermitteln häufig auch an Bedingungen geknüpft, die nicht für jedes Geschäftsmodell passend sind. Die Bedingungen für den Erhalt einer Förderung sollten gegebenenfalls geprüft und angepasst werden.

Schwer haben es die Dorfläden auch, weil für sie in vielerlei Hinsicht die gleichen Vorschriften und Hygieneauflagen wie für den Großhandel gelten. Eine Erleichterung oder Sonderregelungen von politischer Seite für den Kleinsthandel könnten hier Ansatzpunkte sein. 

Und schließlich kann das Etablieren eines Dorfladennetzwerkes und die Gewährleistung dessen langfristigen Fortbestehens eine gute Stütze für die einzelnen Läden sein.

Weiterführende Links

Weiterführende Literatur

Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (Hrsg.). (2014). Sicherung der Nahversorgung in ländlichen Räumen. Impulse für die Praxis.

Neu, C., & Nikolic, L. (2015). Versorgung im ländlichen Raum der Zukunft: Chancen und Herausforderungen. In Gerontologie und ländlicher Raum: Lebensbedingungen, Veränderungsprozesse und Gestaltungsmöglichkeiten. Springer VS.

Küpper, P., & Tautz, A. (2015). Sicherung der Nahversorgung in ländlichen Räumen Europas: Strategien ausgewählter Länder im Vergleich. Europa Regional, 3(21.2013), 138–155.

Zibell, B., Revilla Diez, J., Heineking, I., Preuß, P., Bloem, H., & Sohns, F. (2015). Zukunft der Nahversorgung in ländlichen Räumen: Bedarfsgerecht und maßgeschneidert. In Gerontologie und ländlicher Raum: Lebensbedingungen, Veränderungsprozesse und Gestaltungsmöglichkeiten. Springer VS.

Foto: Raul Gonzalez Escobar on Unsplash