We ❤ Dorf macht Zukunft
Aus dem Studium heraus haben Julia Senft und Isabella Tober ihre Firma PrototypingFutures gegründet. Wir sind mit den beiden über ihre Toolbox zusammengekommen, die inhaltlich sowie methodisch Städten und Gemeinden beim Thema „Innovation im ländlichen Raum“ neue und spannende Werkzeuge und Formate an die Hand gibt.
Innovation im Interview
Wir sprechen wir mit den beiden Neuland21-Mitgliedern pünktlich zum Relaunch ihrer Webseite auf https://dorf-macht-zukunft.de.
Woher kam euer Antrieb einen Werkzeugkoffer für die Innovationen von ländlichen Regionen zu erstellen? Wie ist eure Verbindung zu dem Thema?
Isabella: Vor allem besteht ein großes persönliches Interesse an dem Thema. Ich komme aus einem Dorf in Niederbayern und bin schon seit einiger Zeit auf der Suche nach einem Ort auf dem Land zum kreativen Arbeiten und gemeinschaftlichen Wohnen. Julia interessiert sich besonders für das transformatorische Potenzial und die Unterschiedlichkeiten ländlicher Regionen und hat sich daher in den letzten Jahren in ihren Studienarbeiten viel mit dem Thema beschäftigt.
Wir haben gemeinsam in Braunschweig im Masterstudiengang Transformation Design studiert, in dem es unter anderem darum geht, wie eine wünschenswerte Zukunft mitgestaltet werden kann. Wir sehen die Zukunftspotentiale, aber auch Herausforderungen ländlicher Regionen. Als größtes Potenzial sehen wir allerdings die Menschen vor Ort. So entstand die Idee, ein Format zu entwickeln, das es Bürgerinnen und Bürgern erleichtert gemeinsam eine wünschenswerte Zukunftsvision für ihr Dorf zu entwerfen. Denn ein gemeinsames Ziel kann motivieren und den Tatendrang der Gemeinschaft bündeln.
Das Thema Bürgerbeteiligung ist unserer Meinung nach ein wichtiger Faktor für die Zukunftstauglichkeit von Veränderungsprozessen, dafür, dass man sichergehen kann, dass die Veränderungen von der Dorfgemeinschaft gewünscht sind und die Ergebnisse auch genutzt und gepflegt werden. Wir wollten ein Format entwickeln, das zudem Spaß macht und Ideen und “Werkzeuge” an die Hand gibt.
Für wen genau ist das Toolkit geeignet?
Julia: Die Workshopformate, die wir mit dem Toolkit anbieten, sind zum einen geeignet für die Verwaltungsebene, um konstruktive Beteiligungsprozesse mit uns anzubieten. Das kann zum Beispiel der Fall sein, wenn Orte vor strategischen Zukunftsentscheidungen stehen oder bereits von Entwicklungen wie dem demografischen Wandel, betroffen sind und darauf reagieren müssen bzw. wollen. Aber auch eine Gruppe von engagierten Menschen im Dorf, die aktiv etwas verändern möchte, kann von unseren Workshops profitieren. Das Format ist sowohl dafür geeignet, große “Masterpläne” zu entwickeln, als auch die kleinen aber feinen Projekte, die schon am nächsten Tag umgesetzt werden können.
Dafür haben wir unser Format in klare Phase unterteilt: Am Anfang eines Beteiligungsprozesses, um Bedürfnisse und Ziele zu definieren, das ist die Visionsphase. Wenn bereits Vorstellungen vorhanden sind, wo es hingehen soll, aber die Ideen fehlen gehen wir in die Projektentwicklungsphase. Ideen die entwickelt werden oder bereits vorhanden sind werden in der Kommunikationspahse auf kreative Art und Weise prototypisch getestet und mit dem Rest des Dorfes geteilt und weiterentwickelt. Letzteres ist besonders relevant, wenn noch mehr Menschen aktiviert werden sollen, sich einzubringen.
Könnt ihr mir einmal beschreiben, wie ein Workshop mit dem Toolkit abläuft?
Isabella: Im Vorgespräch wird geklärt, auf welche Themen sich im Workshop fokussiert werden soll. Soll es zum Beispiel um Mobilität gehen, gibt es im Bereich Nahversorgung Verbesserungspotential, sollen Freizeit oder Wirtschaft eine größere Rolle vor Ort spielen? Danach übernehmen die Ansprechpartner*innen vor Ort die Kommunikation mit den potentiellen Teilnehmenden, sie sprechen Akteure gezielt an oder verteilen Einladungen. In der Zwischenzeit bereiten wir einen individuellen Workshopablauf vor. Da jedes Dorf andere Bedürfnisse hat, läuft jeder Workshop mit uns etwas anders ab.
Ein klassischer Ablauf wäre die Abfolge von Visionsphase, Projektentwicklungsphase und Kommunikationsphase. Dies bedeutet, dass es zunächst darum geht, die “Schätze und Baustellen” vor Ort zu definieren und darauf aufbauend eine wünschenswerte Zukunftsvision zu entwickeln. Hier arbeiten wir vor allem mit den “Trendkarten”, die aktuelle – teils größere, teils kleinere – gesellschaftliche Entwicklungen aufzeigen und erklären.
Sobald die gemeinsame Handlungsrichtung geklärt ist, werden konkrete Ideen und Projektansätze entwickelt. Dafür bringen wir eine Sammlung von über 100 positiven Beispielen mit, die inspirieren und zum gemeinsamen Verständnis beitragen. Das Ergebnis ist eine Bandbreite an denkbaren Projektideen, die es daraufhin gilt, zu konkretisieren und bestimmte Ideen zu priorisieren.
Wenn nun einige Ideen als testenswert erachtet werden, beginnt die Kommunikationsphase. Hier werden kreative Konzepte erarbeitet, wie die Ideen mit einfachsten Mitteln entweder ausprobiert oder zum Beispiel im öffentlichen Raum simuliert werden können. So wird ermöglicht, dass die Bewohnerinnen und Bewohner die Idee, beziehungsweise die Zukunftsvision quasi selbst erleben können. Die Diskussion wird aus der kleinen Gruppe geöffnet und die gesamte Dorfgemeinschaft wird zum Weiterentwickeln der Ideen eingeladen.
Auf welche Methoden habt ihr euch bei der Erstellung gestützt?
Julia: Wir arbeiten zum einen viel mit Methoden aus dem Bereich Partizipation und Kreativitätsmethoden wie sie zum Beispiel auch im Design Thinking genutzt werden. Zum Teil haben wir selbst Methoden entwickelt und einige Methoden haben wir für unsere Bedarfe angepasst. Über die Zeit ist ein vielseitiger und bunter Koffer an Methoden entstanden aus dem wir uns bedienen. Jede Workshopgruppe ist anders – da kann man nicht nach Schema F immer dieselben nutzen.
Zum anderen nutzen wir Methoden aus der Zukunftsforschung, arbeiten beispielsweise mit Trends oder Good Practice-Analysen.
Eine weitere Strömung aus dem Design, die uns in der Konzeption stark beeinflusst hat, ist das Speculative Design, in dem sogenannte Design Fictions entworfen werden. Diese Herangehensweise nutzen wir, um den Zukunftsvisionen und Ideen ein Gesicht zu verleihen, diese sichtbar, verstehbar und somit besser diskutierbar zu machen. Daraus entstand die Idee des prototypischen Umsetzen – “Prototyping the Future”.
Was für Ideen sind in euren Workshops entstanden und sind diese jetzt umgesetzt?
Isabella: Im Rahmen der Masterarbeit haben wir mit zwei Dörfern im Landkreis Hildesheim zusammengearbeitet. Daraus entstanden sehr vielfältige Ideen. Die Ideen die weiter verfolgt wurden, waren ein “Haus des Dorfes”, eine Mitfahrbank, eine Dorf-App und eine Online-Plattform zur Vernetzung des Dorfes.
Was braucht es neben dem Toolkit noch, um den Prozess zu starten?
Julia: Vor allem braucht es eine zukunftsorientierte Verwaltung, eine motivierte Dorfgemeinschaft, etwas Zeit und eine positive Atmosphäre. Wichtig ist allerdings auch das Umsetzungscommitment von Seiten der Politik, Wirtschaft oder des Ehrenamts.
Wie kann ich als Entscheider*in mit euch in Kontakt treten?
Isabella: Am einfachsten geht das über unsere Website www.dorf-macht-zukunft.de, per Mail oder Telefon. Wir sind aber auch bei verschiedenen Veranstaltungen vertreten. Beispielsweise kann man uns Ende September beim Forum für Demokratie und Bürgerbeteiligung in Loccum treffen.
Mit was für Kosten ist ein Workshop verbunden?
Julia: Das kommt auf den Umfang der Workshops und die Mittel der Kommune an.
Wie sieht derzeit euer Arbeitsalltag aus?
Julia: In Zeiten von Corona müssen auch wir kreativ werden. Wir haben die letzten Wochen genutzt, um unsere Online-Präsenz zu schärfen. Diese Woche gehen wir mit unserem neuen “Dorf macht Zukunft”-Magazin an den Start. Hier berichten wir regelmäßig über die Themen Dorfentwicklung und Bürgerbeteiligung sowie wegweisende Projekte in ländlichen Regionen.
Des weiteren wollen wir prüfen, inwiefern analoge Formate der Bürgerbeteiligung mit digitalen Formaten ergänzt bzw. auch wenn nötig ersetzt werden können. Dazu wollen wir einen Mix aus digitaler und analoger Beteiligung entwickeln und sind dafür auch auf der Suche nach Kooperarionsdörfern.
Letzte Frage: Das Toolkit hat ein wunderbares Design: Habt ihr das selbst gemacht oder mit einer Agentur gearbeitet?
Isabella: Vielen Dank, das freut uns. Die gesamte Entwicklung, über Konzeption, Recherche, Aufarbeitung der Inhalte bis zu Gestaltung des Toolkits haben wir selbst übernommen.
Allerletzte Frage: Habt ihr eine Lieblingskarte?
Isabella: Da gibt es sehr viele! Mir gefallen vor allem Konzepte, die eine Win-Win-Win Situation herstellen, zum Beispiel die Wächterhöfe. Das Konzept holt neue Leute in den Ort, gibt Menschen mit frischen Ideen und Motivation die Möglichkeit einen leerstehenden Hof auf dem Land wiederzubeleben, nahezu kostenlos zu nutzen und gleichzeitig werden die Gebäude vor dem Verfall gerettet.
Julia: Ich bin immer wieder fasziniert davon wie Menschen kreative Lösungen finden um ihr Ziel zu erreichen. Beim Museum mit Bewirtungsmöglichkeit wurde ein Förderprogramm für Museen genutzt um einen leerstehenden Gasthof wieder zu beleben.
Bild: Mehr Informationen zum Toolkit gibt es unter https://dorf-macht-zukunft.de.