Interview – Mobiles Arbeiten: das “New Normal”?

Spätestens seit Corona ist mobiles Arbeiten nicht mehr aus unserer Arbeitswelt wegzudenken. Welche Chancen und Perspektiven das “neue Normal” auch für den ländlichen Raum bereithält und eröffnet, darüber sprachen wir ausführlich mit Hans-Peter Sander. Hans-Peter ist Vorstand des Coworking Space Ammersee Denkerhaus e.G. und leitet das CoWorkLand Büro Bayern.

Hans-Peter, CoWorkLand und andere Initiativen haben im August 2020 ein Positionspapier herausgebracht. Darin geht es um ein Recht auf mobiles Arbeiten. Was fordert ihr da genau? 

Es ist derzeit ein Gesetz auf dem Weg, das ein Recht auf Homeoffice festschreiben soll. Das mag gut klingen, aber wir sehen einiges anders. Homeoffice hat zum Beispiel, so die Erfahrungen aus der Coronakrise, Unzulänglichkeiten gezeigt, die nicht einfach wissend in Kauf genommen werden dürfen; schon gar nicht bei einer Gesetzgebung. Ich nenne hier nur ein paar Beispiele: die sich abzeichnende Benachteiligung von Frauen, die „zurück am Herd“ Beruf und Haushalt unter einen Hut bringen mussten; die soziale Isolation; die schlichte persönliche oder technische Überforderung der ins Homeoffice „Geschickten“ bis hin zu steuerlichen, finanziellen Schräglagen.

Hans-Peter Sander, Vorstand des Coworking Space Ammersee Denkerhaus e.G.

Ein „Recht auf flexibles Arbeiten“ kann da bessere Angebote machen. Homeoffice gehört als ein Teil der Lösung dazu, aber anderes genauso. Die Menschen sollen selbst entscheiden können, ob sie im Firmenoffice, im Homeoffice, im Coworking Space, im ICE, in einer Bibliothek oder von mir aus auch auf einem Ammersee-Dampfer ihre Arbeit tun. Und auch, wann. Es müssen im „new normal“ entsprechende Rahmenbedingungen her, die alle flexiblen Arbeitsformen gedeihen lassen. 

Der auch von mir unterstützte Appell des „Bündnisses für neues Arbeiten auf dem Land“ ist darauf gerichtet, die Zukunft der Arbeit entsprechend zu diskutieren und zu gestalten: Einen den individuellen Bedürfnissen angemessenen Arbeitsort-Mix zu betrachten und eben nicht eingleisig nur das Homeoffice. In diesem Positionspapier wird ein Recht auf Mobiles Arbeiten gefordert und begründet. Es werden jene Stellschrauben genannt, an denen auf unterschiedlichsten Ebenen gedreht werden muss. Es gibt jede Menge zu tun und betrifft sowohl Beschäftigte, Unternehmen, Coworking-Anbieter, Kommunen und politisch Verantwortliche bis hin zur Gesetzgebung. Alle, die sich für die Zukunft der Arbeit interessieren, sollten sich mit diesem Appell beschäftigen und ihn auch unterstützen.

Wie verändert sich die Arbeitswelt im ländlichen Raum durch Corona? Welche Chancen siehst du?

In der großen Fläche hat sich gezeigt, dass remote work „geht“. Wir vom Ammersee Denkerhaus – Coworking Space haben bereits zwei regionale Pendlerbefragungen durchgeführt: 2018 und jetzt wieder in der Coronakrise (Mai/Juni 2020). Hatten uns in der ersten Befragung noch viele Interviewte erklärt, dass sie alternativlos täglich in die Großstadt zur Arbeit pendeln müssen – das waren z. B. Büroleute wie Immobilienmakler oder auch Hochschullehrer und Studenten – so hat sich diese Meinung in der jüngsten Umfrage grundlegend verändert. Die allermeisten Teilnehmenden haben erfahren, dass sie sehr wohl auch woanders ihre Arbeitsaufgaben erledigen können. Das war der Not gehorchend zumeist zu Hause. Wenn wir nun alle begreifen, dass flexibles Arbeiten umsetzbar ist und dass sogar alle davon profitieren können – Arbeitnehmer, Unternehmen, Kommunen – dann können wir uns auf chancenreiche Zeiten freuen. Coworking wird im kleinstädtischen und ländlichen Raum einen Aufschwung erfahren, denn es ist eine attraktive Komponente in der neuen Arbeitswelt. 

Welche Herausforderungen siehst du derzeit für die Unternehmen im ländlichen Raum als Arbeitgeber und welche Lösungen könnte Digitalisierung und mobiles Arbeiten für diese bereithalten?

Unternehmen in ländlichen Regionen stehen vor allem bei der Attraktivität als Arbeitgeber im Wettbewerb mit den Firmen in den Großstädten. Da spielen Verdienst- und Karrierechancen ebenso eine Rolle wie – ich nenne es einmal „Traditionen“ – althergebrachtes Denken wie: „Nur in München zu arbeiten ist cool“. Dabei ist der ländliche Raum der Großstadt doch beim Coolness-Potenzial haushoch überlegen! Das muss aber erschlossen werden, gemeinschaftlich! Die Digitalisierung spielt hier eine wichtige Rolle: Wenn wir z. B. künftig gar nicht mehr zu physischen Meetings in die Großstädte fahren müssen, um attraktive, große Jobs zu erledigen, sondern das in verteilten Teams bzw. als Solisten in Online-Konferenzen machen, steht die Welt den Unternehmen im ländlichen Raum gleichermaßen offen. 

Wenn Wissensarbeiter*innen selbst entscheiden, wo sie tätig sein wollen, können ländliche Regionen ihre Standortvorteile ins Spiel bringen: von der hohen Lebensqualität bis hin zu den hier – vielerorts – noch günstigeren Wohnkosten. Vorausgesetzt: Man hat die Infrastruktur und man lockt die klugen Köpfe in die Region, die sich hier vernetzen und austauschen können. Insofern können Unternehmer bzw. Start-ups im ländlichen Raum gemeinsam mit Kommunen und mit – ich nenne sie mal „Landpionieren“ – gestalten: Angebote schaffen, Vernetzungsmöglichkeiten initiieren oder aktiv unterstützen. 

Was Veränderungen bei Arbeitgebern betrifft, sollten wir zusätzlich zum Gesagten die Perspektive erweitern: Wenn ich an „Arbeitgeber im ländlichen Raum“ denke, zähle ich nämlich ganz klar die Arbeitgeber in den unweiten Metropolen dazu. Tausende bei uns lebende Fachkräfte pendeln tagtäglich zu denen; verpulvern dabei Lebenszeit, die sie besser für sich, ihre Familie und die Gesellschaft einbringen könnten, verbrauchen Infrastruktur-Ressourcen, belasten die Umwelt und setzen zusätzlich auch noch einen großen Teil ihrer Kaufkraft nicht an ihrem Lebensort ein. Dass sich hier endlich etwas ändern kann, hat uns die Coronakrise gelehrt, die Fachkräfte haben am eigenen Leib erfahren, dass es „geht“. Wenn deren Arbeitgeber also weiterhin attraktiv bleiben wollen, haben sie nun die Chance entsprechende Angebote für ihre Pendlerinnen und Pendler zu machen. Ländliche Coworking Spaces stehen dabei als Partner bereit und entwickeln sich gerade in immer größerer Zahl.

Inwiefern tragen Coworking-Räume zu einer wissensbasierten Strukturentwicklung im ländlichen Raum bei? Welche Erfahrungen hast du am Ammersee gemacht, die für andere relevant sein könnten?

Ländliche Coworking Spaces als Orte der Vernetzung und des Zusammenarbeitens können für die Strukturentwicklung wichtige Impulse geben. Schon dadurch, dass sie die Möglichkeit schaffen, dass Wissensarbeitende im ländlichen Raum tätig sind, Knowhow ausgetauscht wird, sich Kompetenzen vernetzen können, leisten sie einen Beitrag. 

Bei uns im Ammersee Denkerhaus zeigt sich, dass Coworking im ländlichen Raum geht! Das war für mich schon damals, als wir unser Projekt 2012/2013 gestartet haben, meine ganz persönliche Motivation: Ich wollte es probieren und beweisen, dass es tatsächlich machbar ist. In den Jahren haben wir hier viel gelernt, Manches korrigiert und Neues gestartet. Die Grunderkenntnis ist nichts Überraschendes: Es geht, wenn ein paar „positiv Verrückte“ es zusammen machen, Geduld haben und mit einem Business-Modell unterwegs sind, das diese Geduldsphase wirtschaftlich überhaupt möglich macht. Uns gibt es inzwischen im achten Jahr, vor allem weil wir unseren kleinen Coworking Space quasi ehrenamtlich fahren, weil wir nie über unsere Verhältnisse gewirtschaftet haben, weil wir uns immer wieder zu Neuem aufraffen, weil wir auf eine treue Community bauen können.

Was müssen Arbeitnehmer beachten, wenn sie mobil arbeiten wollen? Wie können sie selbst dazu beitragen, dass Unternehmen sich für neue Arbeitsmodelle öffnen? 

Natürlich gelten für sie zunächst erst einmal die Regelungen ihrer Firmen, bei denen sie angestellt sind. Dann muss auch klar sein, dass neue flexible Arbeitsmodelle in Unternehmen einzuführen in erster Linie eine entsprechende Unternehmenskultur voraussetzt. Diese zu schaffen, dazu sind Eigentümer, Manager und Beschäftigte gefordert. Impulse können Arbeitnehmer dadurch geben, dass sie ihren Chefs ihre Erwartungen auch einmal klar machen. Sie können dabei auch vorschlagen, dass die Firma im Coworking Space XYZ kostengünstig einen professionellen Arbeitsplatz mieten kann. – Probiert es! 

Die Erfahrungen aus der Corona-Krise sind in jedem Fall hilfreich einen Wandel einzuleiten, aber wir stehen da erst ganz am Anfang. Wir Coworkerinnen und Coworker müssen die Chancen ergreifen, die sich für uns gerade auftun. Wir sind gut beraten, nicht auf andere zu warten, sondern alles zu tun, was in unserer eigenen Macht steht. Bereiten wir uns also auf das „New Normal“ jetzt vor.

Hans-Peter, vielen Dank für das Gespräch.